Donnerstag, Juli 31, 2025

Karpaltunnelsyndrom: Auf erste Anzeichen achten, um OP hinauszuzögern oder zu vermeiden

Karlsbad (ots) –

Probleme am Karpaltunnel treten häufig auf: Jede:r Sechste hat im Laufe seines Lebens damit zu tun. „Die anfänglichen Symptome beim Karpaltunnelsyndrom können zunächst etwas diffus sein; nicht immer sind erste Anzeichen eindeutig zu erkennen, was oft dazu führt, dass unnötig viel Zeit bis zum ersten Arztbesuch verstreicht“, berichtet Benjamin Backes aus den Erfahrungen in seiner ergotherapeutischen Praxis. Der Ergotherapeut im DVE (Deutscher Verband Ergotherapie e.V.) rät Betroffenen oder Personen, die beispielsweise aufgrund einer genetischen Disposition (Erbanlage) betroffen sein könnten, frühzeitig eine ärztliche Diagnose einzuholen. In vielen Fällen lässt sich eine OP am Karpaltunnel durch eine Intervention bei spezialisierten Ergotherapeut:innen hinauszögern oder sogar ganz vermeiden.

Die Anzeichen eines sich entwickelnden Karpaltunnelsyndroms können leichtes Kribbeln in den Fingerspitzen, teilweise auch im Arm oder taube Finger – genauer gesagt: der Daumen und die Finger bis zum halben Ringfinger – sein. Dies ist auf eine Kompression des Nervus medianus, den Mittelarmnerv, zurückzuführen. Der Medianusnerv versorgt Hände, Finger und Teile des Unterarms, wo er am Übergang zur Handfläche den Karpaltunnel überwinden muss. Ist diese Engstelle aufgrund einer erblichen oder mechanischen Be- oder Überlastung verengt, kommt es zu den genannten Symptomen oder auch zu Problemen im Arm, die Betroffene dann erst recht nicht zuordnen können. Ohne entsprechende Behandlung nehmen die Symptome zu. Es kann im schlimmsten Fall sogar dazu kommen, dass Nerven absterben. Ein Grund mehr, Arzt oder Ärztin zu konsultieren, wenn man feststellt: „Da stimmt etwas nicht“ oder „Das geht nicht von alleine weg“.

Ergotherapeutische Edukation: Infos zum Krankheitsbild „Karpaltunnelsyndrom“

„Die Leidensfähigkeit von Menschen ist immer wieder erstaunlich groß“, weiß der Ergotherapeut Benjamin Backes. „Oft“, sagt er „suchen Betroffene sehr spät ärztliche Hilfe“. Der übliche Weg ist, zunächst zur Hausärzt:in oder – so handhaben es die meisten – zu Orthopäd:innen zu gehen; von dort erfolgt jedoch meist recht zügig die Überweisung zu Neurolog:innen. Die Wartezeiten bei diesen Ärzt:innen betragen in aller Regel mehrere Wochen, je nach Wohnort sogar Monate. Wertvolle Zeit, in der sich der Zustand verschlechtert und die Chancen, ohne OP auszukommen, verringern. Stellt eine Neurologin oder ein Neurologe nach einer hierfür nötigen Nervenleitgeschwindigkeitsmessung die Diagnose „Karpaltunnelsyndrom“, erhalten Betroffene ein Rezept für Handtherapie. Darauf spezialisierte Ergotherapeut:innen wie Benjamin Backes verfügen über eine Reihe von Möglichkeiten, die Beschwerden von Menschen mit einem Karpaltunnelsyndrom zu lindern. Am Anfang ihrer Behandlung steht die Edukation, also Aufklärung, zum Krankheitsbild. So erfahren die meist weiblichen Patient:innen, dass neben dem familiär bedingten Risiko höhere Gewichtsbelastungen bei der Arbeit ebenso wie im privaten Bereich oder durch Haus- und Gartenarbeiten das Platzproblem im Karpaltunnel verstärken. Altersbedingt lässt die Spannkraft des Bindegewebes nach und auch das kann dazu führen, dass sich die Situation im Karpaltunnel verschärft. Möglicherweise spielen auch die Hormone eine Rolle; ganz geklärt ist dies allerdings noch nicht.

Ergotherapeutische Intervention bei Karpaltunnelsyndrom: Nerven mobilisieren, lösen, Druck nehmen

„Wir können immer positiv intervenieren“, nimmt Benjamin Backes seinen weiteren Ausführungen vorweg. Der Ergotherapeut betont: „Viele OPs am Karpaltunnel ließen sich vermeiden oder hinausschieben“ und erklärt, welche Ansätze er verfolgt. Eine erste Maßnahme ist, eine Nachtlagerungsschiene zu bauen oder eine fertig konfektionierte Orthese zu verwenden, sofern diese passt. Die Schiene sorgt für eine leichte Extensionslagerung, die den Druck vom Nerv nimmt – so kann er sich meist schon gut erholen und das in der Nacht, so dass Betroffene keine Einschränkungen in ihrem Alltag in Kauf nehmen müssen. Parallel leiten Ergotherapeut:innen ihre Patient:innen in Sachen Nervenmobilisation an: Sie zeigen ihnen, mit welchen Übungen die Nerven in Gleitbewegung kommen, sich lösen und immer weiter aus der Kompression im Karpaltunnel befreien. Ebenso erfahren Patient:innen, welche Positionen oder Zwangshaltungen sie meiden sollen, wie sie Abwechslung in die verschiedenen Haltungen bringen und die Muskulatur lockern können. Benjamin Backes – und das handhaben auch andere Ergotherapeut:innen so oder ähnlich – filmt die Patient:innen mit deren eigenem Handy, wenn sie ihre Übungen unter seiner Anleitung machen. Das erleichtert das häusliche Training und gewährleistet zudem, dass die jeweils individuell passenden und nötigen, in einer bestimmten Art und Weise praktizierten Übungen zu sehen sind und nicht irgendwelche, die zu allgemein oder nicht oder nur teilweise geeignet sind. Zusätzlich haben Patient:innen die Möglichkeit, speziell für das Karpaltunnelsyndrom ausgearbeitete Übungsblätter zu erhalten.

Ergotherapeutischer Ansatz: Karpaltunnel plus weitere anatomische Aspekte begutachten

Neben Übungen, die die Patient:innen zuhause regelmäßig machen, setzen Ergotherapeut:innen bei der Intervention in ihrer Praxis auf Geräte wie Ultraschall und Laser. Eine Methode, die Ultraschall mit Strom kombiniert, erzielt laut dem Ergotherapeuten Backes ebenfalls in vielen Fällen sehr gute Erfolge. Auch Tapen ist hilfreich. Allerdings zeigen immer mehr Menschen allergische Hautreaktionen – leider, denn Tapen ist eine sehr unkomplizierte Option, um eine Entlastung zu bewirken. Ebenso nimmt die manuelle Therapie einen wichtigen Platz bei der Behandlung des Karpaltunnelsyndroms ein. „Ausschlaggebend für eine erfolgreiche Therapie sind jedoch noch weitere Aspekte“, betont Backes. Der Ergotherapeut betrachtet immer auch sämtliche anatomische Gegebenheiten: „Es ist so, dass der Nervus medianus nicht nur eine Engstelle zu passieren hat – der Karpaltunnel ist nur eine zusätzliche Einengung; der Nerv kann beispielsweise schon in der Schulter gereizt sein“. Daher findet Backes Ausschlussdiagnostik so wichtig: „Nicht nur den Karpaltunnel im Blick haben, sondern auch alle anderen Erkrankungen in Betracht ziehen“. Erkrankungen der Brustwirbelsäule wie degenerative Knorpel- und Knochenveränderungen oder Bandscheibenvorfälle, eine Läsion des Nervus medianus in der Höhe des Halswirbels oder im Unterarm führen ebenfalls zu ähnlichen Symptomen wie das Karpaltunnelsyndrom. „Aus therapeutischer Sicht ist es sinnvoll, den Blick auf alle Extremitäten und den gesamten Nervenverlauf zu richten, zu schauen: wie ist die Haltung, gibt es Muskelverspannungen oder zeigt der oder die Patientin andere Zeichen, die zu berücksichtigen sind und danach gestalten wie die Therapie“, bringt Backes die Arbeit von Ergotherapeut:innen in diesem Bereich auf den Punkt.

Ergotherapeutische Nachbehandlung: sichert den Erfolg der OP am Karpaltunnel

Sehen Ergotherapeut:innen, dass die Intervention keinen Erfolg hat und sich der Zustand verschlechtert, ist eine Operation am Karpaltunnel unausweichlich. Backes dazu: „Die ergotherapeutische Arbeit war aber auch dann nicht sinnlos, denn es ist so, dass Patient:innen, die zuvor gut aufgebaut wurden, mit besseren Erfolgschancen in die OP gehen“. Genauso verhält es sich mit der ergotherapeutischen Nachversorgung. Im Idealfall erhalten Patient:innen nach einer OP am Karpaltunnel eine Verordnung für eine ergotherapeutische Nachversorgung. Die Kosten sind bei Zuordnung zur Diagnosegruppe SB 1 für die Verordner seit April dank Blankoverordnung budgetneutral. So können Ergotherapeut:innen selbst entscheiden: Sind die Operierten bestenfalls in der Lage, mit einem einzigen Termin zu erfassen, wie sie sich ab jetzt verhalten müssen, damit die OP auch dauerhaft erfolgreich bleibt? Oder handelt es sich um Patient:innen, die mehr Führung und Anleitung benötigen oder Probleme haben? Im Sinne einer optimalen Versorgung und um den weiteren Erfolg der OP am Karpaltunnel zu gewährleisten, betreuen Ergotherapeut:innen diese Patient:innen individuell. Sie leiten sie beim Üben an, versorgen und mobilisieren die Narbe und befähigen sie, wieder gut in ihrem Alltag zurechtzukommen, ohne dabei in alte Gewohnheiten zurückzufallen.

Informationsmaterial zu den vielfältigen Themen der Ergotherapie gibt es bei den Ergotherapeut:innen vor Ort; Ergotherapeut:innen in Wohnortnähe auf der Homepage des Verbandes unter https://dve.info/service/therapeutensuche

Pressekontakt:
Angelika Reinecke, Deutscher Verband Ergotherapie e.V. (DVE),
[email protected]
Original-Content von: Deutscher Verband Ergotherapie e.V. (DVE), übermittelt durch news aktuell
Quelle: ots

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